Jag försöker fixa dig

Ich versuche, Dich zu reparieren

Heute hat es mich erwischt, aus der Kalten, gnadenlos. Und das, obwohl alles sehr gut läuft. Drei Wochen, nachdem unser Exposé freigeschaltet wurde, zeichnet sich ab, dass wir die richtige Familie für uns gefunden haben. Anfang dreißig, zuckersüße Tochter, das nächste Kind bereits unterwegs. Er hat Abitur mit einem unserer Grundschullehrer gemacht und beide haben hier größtenteils ihren Familien- und Freundeskreis. Naturverbunden, zur Tochter absolut liebevoll und unserer Meinung ein sehr guter Ersatz für unsere lieben Nachbarn. Der Notartermin steht unverbindlich, die letzten Bestätigungen werden eingeholt. Alles also in sehr gutem Zeitrahmen. Trotz allem macht Carrie weiter Hausführungen, da ja immer noch etwas schief gehen kann. Sicher, ist sicher. 

Der Tag fing recht harmlos an. Gemeinsam frühstücken, schnell durchputzen, schließlich war halb zwölf unsere liebe Maklerin angekündigt, um zwei weitere Interessenten durch unser Haus zu führen. Also fuhren wir zu Schwiegereltern zum Mittagessen. Der Vielfraß war recht wortkarg, kam er ja auch erst nachts um drei von der ersten 18. Geburtstag-Party aus dem Umland. Ich finde es toll, wenn sich die Jugendlichen das trotz der hier zu überwindenden Entfernung und den C.-Querelen nicht nehmen lassen. Ihm wird heutzutage schon genug genommen.

Er legte sich also nach dem Essen stillschweigend hin, während der Rest der Familie ein paar Runden Rommé spielte. Und ich schwöre, bei Schwiegereltern muss man ordentlich aufpassen. Ich, als schlechter Verlierer muss natürlich sofort bemängeln, wenn anderen in der Runde verbal geholfen wird und diese dann auch noch fertig machen. Kratzt irgendwie an der Ehre, aber zeigt andersherum natürlich auch wieder, dass die Gemeinschaft letztlich immer stärker ist, als der einzelne. Zusammenhalt siegt. Das Schöne ist, dass mich die Familie genauso wenig ernst nimmt, wie ich mich in dem Falle selbst. So wird das ein lustiger, schlagabtauschreicher Spielenachmittag, mit viel Gelächter, Frotzeleien und Wohlgefühl.

Zurück zu Hause juckt es mein Glüggeweib ob es herrlichen spätwinterlichen Sonnenwetters natürlich in den Fingern. Der Garten ruft, das bleibt bei ihr nie ungehört. „Ich geh‘ mal kurz raus“ bedeutet zumeist 2-3 Stunden. So nutze ich die Zeit, um die Funkantennen zurückzubauen und meinem Funkerbunker Lebewohl zu sagen. Der CB-Funk hat mich zu einem inzwischen hoch geschätzten Freund und seiner wundervollen Familie geführt, die mir in ein paar Tagen liebenswerter Weise Asyl gewähren, um mir die Jagd nach unserer Oase zu erleichtern. Generell habe ich durch den Funk hier in der nahen Umgebung viele weitere Menschen kennengelernt, die ähnliche Ansichten haben, die spüren, dass hier so viel so unerträglich schief läuft. Eine Bereicherung. Und nun, breche ich die Zelte größtenteils ab, unwissend, wann die neue Verbindung über hunderte von Kilometern Entfernung steht. Ganz verlassen möchte man solche lieben Menschen ja auch nicht, wenn es technisch machbar ist.

 

Es geht rasant voran

Kabel für Kabel, Mast, Geräte wandern in den Umzugskarton, derweilen lasse ich mich von Musik begleiten. Zufallswiedergabe. Plötzlich ertönt Coldplay mit „Fix You“ und es erwischt mich wirklich völlig unerwartet. Die Liedzeilen passen so unwirklich zur aktuellen Situation, dass ich Mühe habe, den Kloß im Hals wieder herunter zu schlucken. Man hat hier viel geschaffen, hat Heim, Freundschaften und Garten gepflegt und etwas in jeder Hinsicht Einzigartiges geschaffen. Ein Platz, der einladend war, immer für jeden offen, unfassbar grün, mit jeder Menge kleinen Inseln der Geselligkeit. Und doch, reicht es scheinbar nicht. Das, was wir hier aufgebaut haben, reicht nicht, um den Lärm, die Spaltung, den Wahnsinn zu übertönen, der hier von allen Seiten auf uns einprasselt.

„Wenn Du bekommst, was Du willst, aber nicht das, was Du brauchst.“
Coldplay
Fix You

Da liegt der Hund begraben. Ist die eigene, vermeintliche Komfortzone das, was man will oder das was man braucht? Ist die so zutiefst ersehnte Stille und die unmittelbare Nähe zur Natur das was ich will, oder das was ich brauche? Der Sog, den Schweden auf mich ausübt, existiert ja nun seit mehr als 30 Jahren. Und die letzten drei Begegnungen mit diesem Land haben dieses Gefühl nur verstärkt. Die Unruhe, die mich seit unserer Entscheidung, nach Schweden zu gehen, erfasst hat, steigert sich seit Wochen und sorgt für entsprechende Gefühlskapriolen. Allein das Verständnis, was wir von nahezu allen lieb gewonnenen Menschen erhalten rührt zutiefst. All die Reaktionen, dass genau dieser Schritt bei uns irgendwann zu erwarten war (nur vielleicht nicht so schnell), bestärkt uns, da wir das unbewusst offensichtlich schon so lange in unser Außen transportiert haben.

„Wenn du dich so müde fühlst, aber nicht schlafen kannst.
Wenn Du etwas verlierst, aber nicht ersetzen kannst.
Könnte es schlimmer sein?“
Coldplay
Fix You

Und doch habe ich natürlich immer wieder den einen oder anderen Zweifel. Trifft man die richtige Entscheidung? Wird das funktionieren? Ist es fair, unsere Tochter aus ihrer gewohnten, geliebten Umgebung zu nehmen? Ist es fair, dass die ihre engsten Freundinnen und Seelentröster bald größtenteils nur noch digital erleben kann? Was ist mit meiner Ma? Auch wenn sie beteuert, dass es folgerichtig ist, unserer Intuition zu folgen? Was ist, wenn mein Bruder wirklich nach Österreich gehen sollte, weil ihm hier nicht der Weg offen steht,  den er gehen möchte? Was ist mit den Schwiegereltern, die zwar tapfer mitfiebern aber sicherlich auch den einen oder anderen traurigen Moment haben, wenn sie an die zukünftige Trennung denken? Was ist mit all den engen Freunden, die sich für uns freuen, uns aber gehen lassen, obwohl es auch ihnen Schmerz bereitet? All diese Gedanken nehmen einem schon die eine oder andere geruhsame Nacht. Man schläft unruhig, wird wach, die Gedanken fangen an zu kreisen und das war es erst einmal.

„Lichter werden Dich heim begleiten,
sie werden Dich entflammen.“
Coldplay
Fix You

Und doch mehren sich die Zeichen, dass das nächste Kapitel unserer Reise kurz bevorsteht. Viele kleine Begebenheiten des Tages zeichnen den anstehenden Wandel an die Wand. Ein Lied zur richtigen Zeit, ein Kommentar der passt, ein gegenseitiges Verstehen ohne etwas auszusprechen. Die innere Positivität hat uns alle erfasst. Es gibt einen Neuanfang, unwiderruflich. Einen Neuanfang, der uns hoffentlich auch wieder den Frieden bringt, nach dem uns so dürstet. Einen Neuanfang, der uns noch mehr mit der Natur in Einklang leben lässt, der die Sucht nach Stille, Weite, Wald und Wetter befriedigt. Die Zeit wird zeigen, ob uns Schweden genau das bieten und ob es heilen kann. 

 

„Und ich werde versuchen, Dich zu reparieren.“
Coldplay
Fix You

Kommentare

3 Antworten zu „Jag försöker fixa dig“

  1. Es gibt noch einen Song, den ich euch in der derzeitigen Situation empfehlen kann und der uns auf dem Weg nach Schweden begleitet hat: „Vincent Weiss – Frische Luft“. Bleibt optimistisch, ihr tut das einzig Richtige!
    LG Gunnar

    1. Danke für diesen Musiktipp. Ja, der passt auch gut. Dank Deiner Empfehlung werde ich die Rubrik „Reiselieder“ im Blog aufnehmen und immer mal Lieder verlinken, die uns auf unserer Reise begleiten. Danke dafür! Und ja, optimistisch sind und bleiben wir. Es hat sich bisher immer alles gefügt. Spaß macht, wohin man seine positiven Energien lenkt und woher man seine Kraft zieht. Skandinavien ist für uns als Familie eine unwahrscheinliche Kraftquelle. Jedes Mal. Und der Rest wird so eintreten, wie er soll. Unsere Familie ist nie den leichten, schnellen Weg gegangen. Umso süßer waren die Siege und Erfolge. Und da spielt es keine Rolle, ob es um den Alltag, Wanderungen, Bauprojekte oder persönliche Entwicklung geht. Und auch dieses Mal werden die Eindrücke , Schmerzen und Erfahrungen lehrreich sein und weiter an uns als Menschen schleifen. Ein perfekter Diamant benötigt eine Menge Schliff… Ob wir in unserem Leben ein hohes Karat erreichen, wird sich zeigen. Das entscheiden andere 🙂

    2. Lieber Gunnar. Noch einmal Dank für dieses tolle Lied. Nytt hemland: Frisk Luft

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